Die Durchsetzung eines Unionsantrags zur Migration im Bundestag mit Stimmen der AfD führt bei Holocaust-Überlebenden zu Protesten.
Der 99-jährige Albrecht Weinberg aus Leer in Ostfriesland will gemeinsam mit dem Mannheimer Unesco-Künstler Luigi Toscano sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben. Er prophezeit CDU-Chef Merz weiteren Widerstand.
„Ich habe es gern mal angesteckt“, erzählt Albrecht Weinberg. „Wissen Sie, nach allem, was ich in Deutschland erlebt habe als Jude, erfüllte mich das mit Stolz. Ich fühlte eine große, große Ehre, als ich es 2017 erhielt. Nun aber“, sagt der 99-Jährige, „will ich es nicht mehr.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird von Albrecht Weinberg das Bundesverdienstkreuz zurückbekommen.
Weinberg hat die Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt, seine Schwester Friedel und er waren die Einzigen ihrer Familie. In seinem Wohnort Leer in Ostfriesland gibt es eine Geschwister-Weinberg-Straße, im Nachbarort und Geburtsort Weinbergs, Rhauderfehn, erhielt das Gymnasium seinen Namen.
Der alte Mann fühlt dies irgendwie alles mit einem Schlag entwertet. „Ich bin kein Politiker“, sagt Albrecht Weinberg dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „doch, was Friedrich Merz am Mittwoch im Bundestag durchgezogen hat, ist unverzeihlich. Bei mir hat sein Erfolg mit den Stimmen der AfD Urängste ausgelöst – und so schnell wird mir eigentlich nicht mehr bange.“
Der 99-Jährige, der bis 2012 in den USA gelebt hatte und noch kurz vor ihrem Tod 2012 mit seiner Schwester in die ostfriesische Heimat zurückgekehrt war, konnte überhaupt erst im Alter von 87 Jahren darüber reden, was ihm und seiner Familie von den Nationalsozialisten in Deutschland angetan worden ist.
Bis heute redet er vor Schülern und Azubis über sein Leben und das Sterben in den Lagern. Dafür hatte er das Bundesverdienstkreuz erhalten. „Ich bin traurig“, sagt Weinberg, „aber auch wirklich wütend. Hoffentlich erhält Herr Merz, der ja Bundeskanzler werden will, mehr Gegenwind für seinen Kurs.“
Wie Weinberg will auch der Mannheimer Fotograf Luigi Toscano sein Bundesverdienstkreuz, das er 2021 von Steinmeier verliehen bekommen hatte, an den Bundespräsidenten zurückgeben.
Der Unesco-Artist for Peace ist durch sein inzwischen seit zehn Jahren laufendes Projekt „Lest we forget“ und weltweite Ausstellungen von Porträts von Überlebenden auf öffentlichen Plätzen bekannt geworden. Gerade werden seine Porträts auf dem Mailänder Flughafen und an der Dresdener Frauenkirche gezeigt.
Toscano sagte dem RND: „Stunden vor der Abstimmung redet ein Holocaust-Überlebender in der Gedenkstunde des Bundestags über Verfolgung, Menschenfeindlichkeit und die Bedeutung von Demokratie und ihrer Bewahrung.
Wenig später erzwingen Demokraten für eine reine Machtdemonstration eine Mehrheit mit Stimmen von Rechtsextremen. Und ausgerechnet beim Thema Migration, bei dem es auch um Verfolgung und Menschenfeindlichkeit geht. Das ist Verrat an der Demokratie.“
Toscano, der in dieser Woche in Auschwitz war und Donnerstag mit einer ukrainischen Holocaust-Überlebenden ein früheres Kinder-KZ in Polen besucht hat, begründet die Rückgabe des Bundesverdienstkreuzes auch damit, dass er enttäuscht von den Parlamentariern der demokratischen Parteien sei.
„Ich bin mir sicher, dass es Wege gegeben hätte, diese Abstimmung auf demokratische Weise zu verhindern. Was soll ich den Holocaust-Überlebenden, die ich regelmäßig treffe, über den Zustand der Demokratie in Deutschland erzählen? Wie soll ich ihnen erklären, dass eine Partei, die künftig Deutschland regieren will, im Parlament mit Rechtsextremen stimmt? Tut mir leid, ich kann und will das nicht.“
Weinberg und der Fotograf haben ihre Rückgabe des Bundesverdienstkreuzes miteinander abgestimmt. Der 99-jährige Jude geht davon aus, dass weitere Überlebende Widerstand gegen die politische Vorgehensweise von CDU-Chef Friedrich Merz leisten werden.
„In wenigen Wochen werde ich 100 Jahre alt“, sagt Weinberg. „Vom Leben habe ich nicht mehr viel zu erwarten, aber das wird noch einmal ein Höhepunkt.“
Einfach unglaublich sowas alles durchmachen zu müssen um dann festzustellen, das sich der ganze Mist einfach nochmal wiederholt.
Ehre gehen raus an die KZ-Überlebenden. Richtige Aktion von dem Herrn hier.
Dabei ist es gar nicht dieser Mann, dessen Verdienst jetzt zunichte gemacht worden ist.
Es ist Deutschlands Verdienst. Wiedergutmachung an den Juden im Rahmen des Möglichen. Bemühungen für den Weltfrieden und Völkerverständigung ganz allgemein.
Solche Errungenschaften werden aktuell zerstört.